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Freitag, 15. April 2011

03 I’m kind of stressed here

03 I’m kind of stressed here
Jaysons PoV:
„Und krieg ich dann auch Kekse zum Mittagessen?“
Ich seufzte. Seitdem wir zu Hause losgelaufen waren, wurde ich mit Fragen bombardiert, was er sich alles zu seinem Geburtstag wünschen konnte und was einfach nicht möglich war bzw auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden musste. Zum Mond konnte ich ihn nicht einfach mal so fliegen. Auch wenn ich das gerade sehr gern getan hätte.
Meine Nerven lagen blank.
Mutter stritt nur mit mir über Kleinigkeiten – was ich ja eigentlich gewohnt sein sollte – aber selbst sie sollte wissen, dass ich irgendwann darüber hinwegsehen würde, dass sie meine Mutter und im 6. Monat schwanger ist. Irgendwann würde ich sehr wahrscheinlich austicken und sie langsam und qualvoll mit dem extra zarten Toilettenpapier erdrosseln, dass nebenbei bemerkt auch extrem reißfest ist, auf das sie so bestand. Dass wir das Geld dafür nicht hatten, war ihr ziemlich egal und natürlich sah sie auch nicht ein, Abstriche bei sich zu machen, statt bei meinem kleinen Bruder. Bei mir konnte sie schon nichts mehr streichen.
Ich hatte nämlich einen Nebenjob angenommen. Ich kellnerte in einer der Kneipen in unserer Gegend und trug Zeitung aus. Falls ich es jemals aufs College schaffen sollte, würde es garantiert nicht am Geld scheitern.
Aber auch von meinem Einkommen konnte ich mir nur das Notwendigste neben Lebensmitteln kaufen, wenn ich nebenbei auch noch für das College sparte. Zudem musste ich mit Argusaugen aufpassen, dass Mutter nicht vergaß, dass sie noch ein Kleinkind hatte, dem sie zumindest etwas zu Essen und Trinken kaufen musste.
Mein Job als Aufpasser zu Hause war also der Ätzendste von allen.
Hinzukam noch dass ich in der Schule voll da sein musste, Arbeiten schreiben, Referate halten und dergleichen. Abends ertappte ich mich gelegentlich dabei, einfach über meinen Hausaufgaben einzuschlafen. Ally hatte deswegen vorgeschlagen, ab sofort mit ihr Hausaufgaben zu machen, aber das würde wahrscheinlich auch nirgendwohin führen. Das hatte schon früher nicht geklappt und war nur in Sex geendet. Nicht gut.
Eins meiner wenigen Probleme würde sich zum Glück morgen in Luft auflösen. Edwards Geburtstag stand vor der Tür.
Ich konnte verstehen, dass er aufgeregt war und deshalb viele Fragen hatte, aber jeeeeeez… der Junge kannte da kein Erbarmen, der strich auch die Schlafenszeiten für Fragen. In den letzten drei Nächten war er zu mir ins Zimmer gekommen – immer sobald ich im Bett lag und mich schon diebisch darauf freute, endlich meine Augen schließen zu können – und hatte mir Fragen gestellt, bei denen ich meist nicht einmal wusste, wie er darauf gekommen war. Ein paar waren berechtigt und ein paar einfach… Nun gut. Nicht nur Mutter wurde in meinen Gedanken erdrosselt.
Gott, ich weiß, das klingt schrecklich. Er wird gerade mal 2 Jahre alt und ist einfach aufgedreht, aber verflucht wo blieb ich da? Ich war gerade mal 18. Und wo wir gerade dabei waren. Wann hatte ich gefeiert? Gar nicht. Ha! Ich saß entweder in der Schule, war bei einem meiner Nebenjobs, hechtete zwischen Allys Haus und unserer Wohnung hin und her oder versuchte meine Noten nicht absacken zu lassen.
Ich war müde, ausgelaugt, mental am Ende, aber das Ende war einfach nicht in Sicht. Freiwillig würde ich das nicht nochmal machen. Natürlich liebe ich meinen Bruder, aber hätte Mutter nochmal damit gedroht, ihn abzugeben, würde ich mit dem Wissen, was ich jetzt habe, wahrscheinlich zustimmen. Es hatte einen verdammten Grund, warum man in dem Alter keine Kinder bekommen sollte. Mag sein, dass manche damit umgehen konnten, aber andere – so wie ich – eben nicht! Später vielleicht, aber sich das nochmal zu geben? Jeez. Nein Danke.
Das mag alles ziemlich negativ klingen, aber versucht ihr mal, immer positiv zu sein, wenn alles, was ihr wollt, nur ein bisschen Ruhe und Schlaf und Zeit für sich ist, ihr es aber seit über drei Wochen nicht bekommt.
Ich holte also tief Luft und redete mir immer wieder ein, dass es morgen bereits vorbei war.
„Edward, du kannst nicht Kekse zum Mittagessen haben.“
Achtung, Schmollmund in drei zwei eins… die Unterlippe schob sich nach vorne und seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
„Aber ich will Kekse zum Mittagessen an meinem Geburtstag.“
Oh, das hatte ich ganz vergessen. Unser Sonnenschein war dank Schlafentzug schnell übellaunig und zickig und schmollte eigentlich die Hälfte des Tages. Wieder ein Problem, das sich morgen von allein lösen würde. Ich sollte mich darauf konzentrieren.
„Keine Kekse zum Mittagessen, Edward. Das ist mein letztes Wort.“
Ich atmete tief durch und zählte bis fünf und tada. Die ersten Tränen kullerten. Sobald er nämlich merkte, dass Schmollen keinen Sinn hatte, fing er an auf die Tränendrüse zu drücken. Man konnte ihm vieles unterstellen, aber nicht dass er leicht aufgab.
Edward blieb mitten auf der Straße stehen. Ugh.
Ich schloss kurz meine Augen, um mich mental auf das bevorstehende Drama vorzubereiten, als ich bereits das erste Hupen hörte. Also drehte ich mich schnell zu meinem Bruder um und hob ihn hoch, noch bevor er irgendwie protestieren konnte.
Nachdem wir auf der anderen Straßenseite angekommen waren, fing er an, sich aus meinem Griff zu winden und lautstark zu heulen. Kaum, dass seine Füße den Boden berührten, versuchte er zurück auf die Straße zu rennen. Mir blieb fast das Herz stehen, als er sich von mir losriss und weglief. Ich konnte in Gedanken schon das Hupen hören und dann die Sirenen eines Krankenwagen. Ein Horrorszenario nach dem anderen spielte sich vor meinem inneren Auge ab. Doch noch bevor ich ihn irgendwo packen konnte, hatte ihn zum Glück eine ältere Frau gegriffen – gerade noch rechtzeitig wohlbemerkt, ein Autofahrer hatte bereits gehupt – und meinen mehr als widerspenstigen Bruder zurück zu mir gezogen.
Sie sagte nichts zu mir, sondern schob ihn mir nur mit einem missbilligenden Gesichtsausdruck in die Arme. New Yorker waren vielleicht für sich genommen mehr Einzelgänger, aber total herzlos waren sie nun auch wieder nicht. Gott sei Dank. Was mich wieder zu folgendem bringt.
„Sag mal, spinnst du?! Bei Rot auf die Straße zu laufen! Du hättest überfahren werden können! Verflucht, Edward, schaltest du mal deinen Kopf ein. Sonst bist du auch nicht so dumm und leichtsinnig. Weißt du wie verdammt gefährlich das war?!“, schrie ich ihn an. Bevor ihr Steine werft, ich weiß, dass ich ihn nicht hätte anschreien sollen, aber der Schock saß mir noch ein wenig in den Knochen.
Edward stand indes vor mir und weinte immer heftiger. Immer hin versuchte er nicht mehr wegzulaufen. Ich zog ihn an mich und drückte ihn fest gegen meine Brust.
„Mach das nie wieder! Hörst du? Gott, ich hatte gerade so eine Angst!“
Er wimmerte leise und krallte sich an mir fest. Gott, was alles hätte passieren können.
Mein Herz beruhigte sich langsam wieder und ich wurde mir wieder bewusst, dass ich immer noch spät dran war. Ich hielt Edward ein wenig auf Abstand, damit ich ihm in die Augen gucken konnte.
„Versprich mir sofort, dass du nie wieder einfach auf die Straße rennst.“
Er nickte heftig. Der übliche Post-Heulerei-Schluckauf stellte sich ein.
„Ich will, dass du es sagst und meinst, Edward.“
Er nickte wieder heftig. „Ich mach das nie wieder. Ich schwöre.“
Ich musterte ihn und zog ihn dann wieder zu mir.
„Gut. Über die Bestrafung reden wir gleich, wenn wir bei Oma Sarah und Opa Ben sind.“
Er wusste inzwischen, dass die Bestrafung unvermeidlich war. Normalerweise protestierte er sofort, aber dieses Mal hatte wohl sogar er erkannt, dass er zu weit gegangen war.
„Komm. Ich trag dich, damit wir schneller da sind.“

„Oma Sarah!“, quiekte Edward, kaum dass wir im Haus waren.
Sarah kam aus der Küche auf uns zu und nahm ihn mir ab. „Na, JJ, bist du schon aufgeregt wegen morgen?“, lächelte sie.
Seine Geburtstagsfeier hatten wir hierher verlegt. Mehr Platz und weniger Menschen, die sich einen Dreck um ihre Kinder scherten.
Edward nickte heftig und grinste breit. Seine Augen waren immer noch rot und leicht geschwollen vom vielen Weinen. Erst zwei Blocks, bevor wir da waren, hatte er aufgehört zu weinen.
Natürlich entging diese Kleinigkeit nicht einer fürsorglichen Frau. Sarah musterte ihn kurz besorgt. Sofort hörte er auf zu lächeln und guckte auf den Boden. Er hatte nicht vergessen, dass die Bestrafung noch ausstand. „Ich war böse.“, nuschelte er.
Ihr Blick fiel kurz auf mich. „Was hast du denn gemacht, Schätzchen?“, hakte sie nach.
„Ich wollte Kekse zum Mittagessen zu meinem Geburtstag.“, wimmerte er leise, bevor ich sah, wie wieder neue Tränen liefen. Hoffentlich würde Sarah ihn zu einem Mittagsschläfchen bewegen können.
Sarah runzelte kurz ihre Stirn. „Kekse sind ja auch mehr Nachtisch, aber was ich nicht verstehe, ist, warum du deswegen böse sein sollst.“
Er drehte sich in ihren Armen und streckte seine Arme nach mir aus. Huh. Das hatte ich definitiv nicht erwartet. Ich nahm ihn wieder auf den Arm und er erdrosselte mich beinahe, so fest umklammerte er meinen Hals.
„Hey? JJ, du weißt, es ist unhöflich, auf Fragen nicht zu antworten.“, murmelte ich.
„Es tut mir leid.“, wimmerte er leise. „Ich wollte nicht auf die Straße laufen. Ich weiß, Straßen sind gefährlich. Aber…“ Er holte ein paar Mal Luft. „Es tut mir so leid. Ich mach es nie wieder.“
„Schon okay. Ent-“
„Bitte, gib mich nicht weg. Bitte! Ich mach auch alles, was du sagst. Keine Kekse zum Mittagessen. Gar keine Kekse mehr. Aber bitte, gib mich nicht weg.“ Er wurde immer lauter und am Ende schluchzte er beinahe unkontrolliert auf.
Sarah sah uns ein wenig entsetzt an. „Er ist auf die Straße gelaufen?“ Sie sah auch ein bisschen blass um die Nase aus.
Ich nickte nur leicht, bevor ich mich wieder Edward zuwandte.
„Edward, ich gebe dich sicher nicht weg. Davor brauchst du keine Angst haben.“ Ich seufzte. Als nächstes kam die Bestrafung, was mir gerade ziemlich schwer fiel. „Deine Entschuldigung ist akzeptiert, aber trotzdem wirst du bestraft. Verstanden?“
Er nickte.
„Gut. Es gibt die nächste Woche keine Kekse – ausgenommen morgen, aber da nur als Nachtisch nach dem Mittagessen. Und du musst heute dein Mittagsschläfchen machen. Verstanden?“
Er nickte heftig.
Sarah fixierte ihn kurz mit ihren Augen. Sie hatte diesen Blick drauf, den nur Eltern im Repertoire hatten. Diesen du-hast-scheiße-gebaut-und-ich-bin-enttäuscht-aber-ich-liebe-dich-immer-noch-Blick.
„Wann kommst du wieder?“, fragte er mich kleinlaut.
Ich musste kurz überlegen. Nach der Schule würde ich nur kurz vorbeikommen, aber nur um mich umzuziehen und eventuell noch ein paar Hausaufgaben zu machen. Danach musste ich in die Bar für vier Stunden, was darauf hinauslief, dass er bereits schlafen sollte, wenn ich wiederkam.
„Heute Nachmittag so um drei. Wenn du dein Mittagsschläfchen machst, dann dauert es gar nicht so lange, bis ich wieder da bin.“
Er seufzte. „Warum kann ich nicht mitkommen?“
Ohne die Aussicht auf Kekse fand er es wohl doch nicht so toll. Oder er spürte, dass Oma Sarah heute nicht so gut gelaunt sein und ihn machen lassen würde, was er wollte.
Ich schüttelte den Kopf. „Du bleibst brav hier. Dann machen wir nachher, wenn ich komme, etwas zusammen. Okay?“
Wieder seufzte er. „In Ordnung.“
Ich setzte ihn wieder auf dem Boden ab und verwuschelte sein Haar – was er hasste. Sofort griff er nach meinen Händen. „Aufhören!“
Ich lachte kurz. „Danke Sarah. Bis später.“
Sie nickte mir kurz zu und winkte, als ich rausging.

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