01 – Protège Moi
Jaysons PoV
„Ich gratuliere, es ist ein Junge!“
Meine Mutter freute sich sicher am wenigsten von allen im Raum, als mein Bruder auf die Welt kam. Eigentlich hatte sie ihn auch gar nicht bekommen wollen. Sie hatte oft mit dem Gedanken gespielt, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, hatte es dann aber doch nicht getan. Erst verstand ich es nicht, wo sie schließlich so unglücklich über diese Schwangerschaft war, aber kaum dass ich meinen kleinen Bruder sah, wusste ich, dass ich an ihrer Stelle dasselbe getan hätte. Obwohl ich mir noch bis heute sicher war, dass sie nicht dieselben Gründe hatte wie ich.
Nach der Geburt hatte sie ihn kaum eines Blickes gewürdigt und einfach den Schwestern überlassen. Meine Freundin und ich folgten der Schwester mit dem kleinen Bündel, dass tatsächlich mein Bruder sein sollte und warteten darauf, dass sie alle wichtigen Untersuchungen durchführten. Er war zum Glück vollkommen gesund. Wohl das einzige Glück was er hatte, wo er schon in unsere Familie geboren wurde.
Wir beobachteten durch eine Glasscheibe, wie sie ihn reinigte und er sich dabei seine kleine Lunge förmlich rausschrie.
Ally sowie die Schwester umschwärmten den Kleinen den ganzen Tag. Unsere Mutter schien sich überhaupt nicht für ihn zu interessieren. Sie weigerte sich an manchen Tagen sogar, ihn zu sehen. Das würde sich auch niemals wirklich geben. Sie tat einfach so, als existierte er nicht.
Ich selbst wusste noch nicht genau, wie ich zu dem kleinen Klumpen Leben stand. Ich war gerade mal 16. Bevor er auf die Welt kam, war ich fest davon überzeugt gewesen, dass unsere ‚Familie‘ nichts Schlimmeres hätte wiederfahren können. Meine Mutter war einfach nicht zur Mutter geboren. Sie konnte mit Kindern überhaupt nicht umgehen und nun hatte sie schon zwei davon. Außerdem war meine Freundin, Ally, viel zu interessiert an dem Zwerg. Ich muss zugeben, teilweise war ich auf meinen ungeborenen Bruder ein wenig eifersüchtig.
In den ersten Tagen zu Hause kristallisierte sich deutlich eine Routine heraus. Meine Mutter ignorierte ihren Neugeborenen so gut sie konnte und Ally und ich übernahmen so ziemlich alle Pflichten, die anstanden. Nach den ersten Malen konnte sogar ich die Windeln problemlos wechseln.
Eigentlich war Edward – Das war, glaube ich, das Einzige, was unsere Mutter seit seiner Geburt überhaupt für ihn getan hatte; die Namensgebung. – ein recht angenehmes, eher ruhiges Baby. Er schrie immer nur, wenn ich aus der Schule kam, weil meine Mutter ihn die ganze Zeit über ignoriert hatte und, ich würde es ihr auch zutrauen, dass sie ihn wahrscheinlich nicht mal gefüttert hatte. Er schlief lang, bereits nach drei Monaten konnte ich die erste Nacht wieder durchschlafen.
Wenn Ally da war, half sie mir, so viel sie konnte. Der Kleine hatte bei ihr eindeutig ein Stein im Brett. Sie unterhielt sich die ganze Zeit mit ihm und hatte ihn beinahe ununterbrochen auf dem Arm. Wenn ich nicht genauso mit ihm umgegangen wäre, wäre ich wahrscheinlich eifersüchtig geworden.
Unsere Zeit verbrachten wir also meistens zu dritt. Anfangs war das auch nicht schlimm, aber wir waren gerade mal 16.
Als Edward anderthalb Jahre alt war, konnte er reden und laufen. Nach wie vor war er eins der wohl unproblematischsten Kinder überhaupt. Er weinte beinahe nie und lachte viel. Er machte auch nichts kaputt, zumindest nicht mehr, seitdem er ausversehen eine Tasse Kaffee vom Tisch gestoßen hatte, die daraufhin zerbrochen war, und unsere Mutter ihn so zusammen gestaucht hatte, dass er die nächsten zwei Tage keinen Mucks von sich gab und sich in seinem Zimmer versteckte.
Ally und ich waren inzwischen fast 3 Jahre zusammen. Ich wollte mit ihr ins Kino gehen, was sowieso schon recht selten passiert war, auch bevor Edwards Geburt, da Kino Geld kostete und meine Familie nun mal keins hatte.
Wir hatten diesen Abend bereits drei Wochen im Voraus geplant. Ich hatte meiner Mutter auch drei Wochen vorher Bescheid gesagt, damit nichts dazwischen kommen konnte. Aber meine Mutter hatte einen neuen Stecher. So kam es, wie es kommen musste.
„Mom, ich hab dir doch gesagt, dass ich heute Abend mit Ally weggehe. Ich kann nicht auf ihn aufpassen.“
„Das ist doch nicht mein Problem. Ich werde jedenfalls nicht hier bleiben, um auf das Balg aufzupassen.“
Ich hatte am Nachmittag ein Gespräch von ihr mit ihrem Kerl gehört und erfahren, dass sie den ganzen Abend und wahrscheinlich die Nacht mit ihm verbringen würde. Ich war selbstverständlich nicht gerade begeistert.
Nun standen wir uns hier gegenüber und stritten uns bestimmt schon seit zehn Minuten darüber, dass sie nicht einfach machen konnte, was sie wollte. Wer war hier bitte schön der Erwachsene von uns?
„Er ist dein nicht mal zwei Jahre alter Sohn! Du kannst ihn nicht einfach hier allein lassen!“
Sie zuckte nur mit den Schultern und blätterte durch irgendein Magazin, das ich ihr irgendwie ganz gern um die Ohren gehauen hätte.
„Ich kann und ich werde. Außerdem ist er deine Verantwortung. Ich hätte ihn eigentlich schon längst weggegeben.“
Und das hätte sie. Sie war einmal schon so weit gewesen, dass sie beim Jugendamt angerufen hatte, um ihnen mitzuteilen, dass sie ihn holen sollten, aber ich hatte sie angefleht, es nicht zu tun. Ihre einzige Antwort darauf war dann gewesen, dass er ab sofort mein Problem sei. Zum Glück hatte sie außerhalb der Bürozeiten angerufen, wie ich später herausfand. Was wäre wohl passiert, hätte jemand dieses Gespräch mit angehört?
So langsam wurde ich wirklich wütend.
„Verflucht nochmal, ich habe dich gebeten, nur einen Abend auf ihn aufzupassen! Du kümmerst dich nie um ihn! Ich will doch nur einen Abend mit meiner Freundin verbringen, ohne ihn! Einen!“
Mit jedem Satz wurde ich lauter. Störte das meine Mutter? Nicht im Geringsten. Sie saß weiterhin unberührt da, als ob es darum ginge, wer die Milch leer gemacht und keine Neue geholt hatte. Unfassbar.
Wieder zuckte sie mit den Schultern.
„Na und? Dann lass ihn halt hier. Der wird schon nicht sterben, nur weil er mal einen Abend allein ist. Ich werde jedenfalls nicht hier bleiben.“
Und damit legte sie das Magazin zur Seite, stand auf und verließ den Raum.
Ich stöhnte auf. Diskussion beendet. Der Abend war gelaufen und ich auf hundertachtzig.
Ich schnappte mir das Haustelefon und rief Ally an. Sie war wie immer verständnisvoll und schlug vor, dass wir einfach einen gemütlichen Filmabend bei mir machen konnten. Edward ginge schließlich auch irgendwann ins Bett. Ich stimmte ihr widerwillig zu.
Es war einfach unfair. Nicht mal ein Abend war uns vergönnt.
Sie wollte gegen 18 Uhr zu mir nach Hause kommen. Ich hatte in der Zwischenzeit für die Schule gelernt und nebenbei das Essen vorbereitet. Meine Mutter war bereits gegen 17 Uhr mit ihrem Kerl, James oder wie er hieß, verschwunden. Sollte sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst.
Als es klingelte, riss ich förmlich die Tür auf. Ich war immer noch wütend darüber, dass unsere Pläne ins Wasser gefallen waren. Ich begrüßte sie schnell. Wir deckten gemeinsam den Tisch und verteilten schon mal das Essen auf den Tellern.
Es dauerte ewig, bis Edward auf meinen Ruf, dass das Essen fertig sei, reagierte und in die Küche kam. Er begrüßte Ally nur ganz kurz, was schon untypisch war, und verhielt sich auch während dem Essen ziemlich ruhig. Er gab kaum ein Wort von sich, starrte nur auf seinen Teller und aß wenig davon. Selbst wenn wir ihn direkt anredeten, antwortete er so knapp es ging.
Irgendwas stimmte da nicht, aber ich war an diesem Abend zu wütend, als dass ich es richtig bemerkt und nachgehakt hätte.
„Kann ich aufstehen?“ war wohl das Längste, was er an diesem Abend unaufgefordert gesagt hatte. Er hatte so gut wie nichts von seinem Essen angerührt und schaute immer noch nicht auf.
Ally sah ihn besorgt an und nickte. Sie wollte ihm helfen, von dem hohen Stuhl runterzukommen – natürlich besaßen wir keinen von diesen sicheren Hochstühlen – aber er lehnte ab und rutschte langsam von dem Stuhl.
Kaum dass wir hörten, wie seine Zimmertür sich schloss, sah sie zu mir.
„Ist irgendetwas passiert?“
Sie war nur besorgt, dass wusste ich, aber in diesem Moment machte es mich noch wütender, als ich sowieso schon war.
„Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen? Er ist nur ein Kleinkind, die haben eben solche Phasen. Warum muss immer was passiert sein, wenn er sich irgendwie anders verhält?!“
Ich reagierte wirklich über, das wusste ich, ich konnte es nur nicht stoppen.
Sie sah kurz überrascht aus, dann seufzte sie.
„So habe ich das nicht gemeint. Ich dachte, irgendetwas wäre passiert, dass das verursacht hat. Du hast Recht. Vielleicht ist er nur müde.“
Wir wollten uns heute beide nicht streiten. Wir räumten gemeinsam die Küche auf und unterhielten uns über dies und das.
Als es 19 Uhr wurde, ging ich die Treppen hoch, um nach Edward zu sehen und ihn Bett fertig zu machen. Ich klopfte an seine Tür und ging rein. Er holte bereits seinen Schlafanzug raus und lief schnell an mir vorbei ins Bad. Nach seinem abendlichen Bad putzte er sich brav die Zähne – immer noch ohne ein Wort zu sagen – und marschierte dann in sein Zimmer zurück. Dort legte er sich sofort in sein Bett und zog seine Decke bis an sein Kinn hoch. Auf meine Frage, ob ich ihm etwas vorlesen sollte, schüttelte er nur schnell den Kopf und drehte mir den Rücken zu.
Ich überlegte für einen Moment, ob ich ihn nicht fragen sollte, was los sei, aber verwarf die Frage dann doch wieder. Er würde schon anfangen zu reden, wenn er soweit war.
Ich wünschte ihm noch eine gute Nacht, machte das Licht aus und verließ sein Zimmer.
Ally wartete unten im Wohnzimmer bereits mit Popcorn und einem Film. Sie betrachtete mich für einen Augenblick, aber als ich nur mit den Schultern zuckte, wandte sie ihren Blick wieder dem Fernseher zu.
Wir hatten gerade mit dem zweiten Film angefangen, als ich sah, wie sich in der Nähe der Tür bewegte. Ich wandte meinen Kopf in die Richtung und erblickte meinen kleinen Bruder. Ihm liefen Tränen über die Wangen und er presste seine beiden einzigen Plüschtiere an sich.
Ich stand schnell auf, ging zu ihm und kniete mich vor ihn. Ally hatte ihn erst bemerkt, als ich aufgestanden war. Sie sah zu uns beiden rüber und schien im ersten Moment genauso ratlos wie ich zu sein.
„Hey JJ, was ist denn los?“, fragte ich ihn besorgt. Als er zu sprechen gelernt hatte, war ihm sein Name zu schwer. Wenn Leute ihn fragten, wie er denn heiße, hatte er immer JJ gesagt, Jay Junior. Beim ersten Mal hatte ich noch gelacht und die Leute hatten mich seltsam angesehen, aber beim zweiten Mal war ich irgendwie stolz auf meinen kleinen Bruder gewesen. Irgendwann konnte er seinen Namen dann auch sagen und JJ blieb nur noch als Spitzname hängen.
Er sah mich nur mit großen, traurigen Augen an, reagierte sonst aber nicht darauf, dass ich ihn angesprochen hatte.
„Du musst mit mir reden, sonst weiß ich doch nicht, was los ist, und kann dir nicht helfen.“
Darauf weinte er noch mehr und sein kleiner Körper bebte. Besorgt sah ich kurz zu Ally, die das Ganze verfolgte. Sie zuckte hilflos mit den Schultern.
Ich seufzte leise und hob ihn hoch. Er ließ die beiden Kuscheltiere fallen und klammerte sich an meinen Hals.
„Hey, hey, was ist denn los?“
Zur Antwort schüttelte er nur den Kopf und krallte sich noch mehr an mir fest.
Etwas verwirrt stand ich auf und ging mit ihm rüber zur Couch und setzte mich neben Ally. Sie strich ihm sanft durch sein Haar.
„Edward, ist etwas passiert? Hast du einen Alptraum gehabt?“, fragte sie, während sie ihm weiterhin beruhigend über den Kopf fuhr.
Dieses Mal nickte er, aber gab sonst keine Antwort.
„Verstehe. Ich hab auch manchmal Alpträume. Die machen einem ganz schön Angst, huh?“ Wieder ein Nicken und er sah kurz zu ihr.
„Weißt du, was dagegen hilft?“ Längerer Blickkontakt und ein Kopfschütteln.
„Also mir hilft immer, wenn ich darüber mit jemandem rede. Jay hat auch Alpträume und dann ruft er mich mitten in der Nacht an, wusstest du das?“ Wieder ein Kopfschütteln.
Ally nickte langsam und lächelte ihn sanft an.
„Doch. Sogar dein großer Bruder hat manchmal Alpträume und braucht dann jemanden. Also willst du uns davon erzählen? Dann können wir dir helfen.“
Er blickte für einen Moment die Wand an und schien zu überlegen, bis er langsam nickte.
„Okay. Erzähl uns von deinem Traum. Dann wissen wir, was wir machen müssen.“
Er atmete tief durch. Aber bevor er anfing zu reden, warf er seinen Plüschtieren einen sehnsüchtigen Blick zu. Ally verstand sofort und holte sein Schaf und seinen Lemur. Die hatten wir ihm irgendwann gekauft, als wir mit ihm in der Mall gewesen waren. Es waren bis heute die einzigen Kuscheltiere, die er bekommen hatte, und er ließ sie eigentlich nie aus den Augen.
Kaum dass Blacky, das Schaf, und Pat, der Lemur, wieder in greifbarer Nähe waren, entspannte er sich ein wenig. Er sah mich kurz an, bevor er seine Augen auf den Lemur richtete.
„Ich… ich hab geträumt, dass Mama mich nicht mehr will und dass sie mich einem großen, dicken, bösen Mann schenkt, der mich immer ohne Essen ins Bett schickt und Pat und Blacky wegwirft. Und… und… du wolltest mich auch nicht mehr. Du hast einfach nur zugeguckt, wie er mich mitgenommen hat. Ich hab dich gerufen, aber du hast nur den Kopf geschüttelt und bist weggegangen.“ Er zitterte wieder am ganzen Körper. „Keiner will mich.“
Ally saß genauso geschockt wie ich da. Ich vermutete stark, dass er einen Teil von dem Gespräch vom Nachmittag mit angehört hatte.
Ich saß dort und wusste kurzfristig nicht, wie das passieren konnte. Ally schritt schnell ein, bevor die Situation eskalieren konnte.
Sie strich ihm sanft über die Wange und lächelte ihn wieder sanft an.
„Edward, dein Bruder liebt dich. Er würde dich niemals weggeben, das verspreche ich dir.“
Er sah nicht überzeugt aus und ließ seinen Blick auf den Boden schweifen.
Es wurde Zeit, dass ich aus meiner Starre erwachte, bevor er ernsthaft glaubte, dass ich ihn einfach kampflos gehen lassen würde.
„JJ, sieh mich bitte an.“ Widerwillig hob er den Kopf. „Ich hab dich lieb und ich würde es niemals zulassen, dass Mutter dich einfach an irgendwen verschenkt. Niemals, hörst du mich?“
Edward sah mich traurig an. „Du hast gesagt, dass du mich nicht dabei haben willst. Dass du mit Ally allein sein willst.“ Er verzog sein Gesicht, bevor erneut die Tränen liefen. „Und Mama will mich auch nicht bei sich haben. Keiner will mich.“
„Das stimmt so nicht, Edward. Ich hab dich wirklich lieb, aber ich hab auch Ally lieb. Manchmal möchte man dann etwas mit demjenigen machen, allein. Aber nicht für immer. Wir spielen doch auch ganz oft zu zweit in deinem oder meinem Zimmer oder gehen zum Spielplatz. Dadurch zeigt man, dass man einander lieb hat. Und ich wollte nur einen Abend mit Ally allein sein, damit ich ihr zeigen kann, dass ich sie auch wirklich lieb hab. Das heißt aber nicht, dass ich dich nicht mehr lieb habe. Hast du das verstanden?“
Er kräuselte seine Nase und nickte, wirkte jedoch immer noch nicht vollständig überzeugt. Ich überlegte kurz. Mein Blick fiel auf die Kuscheltiere.
„Das ist so ähnlich wie mit Blacky und Pat.“ Edward sah mich verwundert an. „Nur weil du Pat manchmal ohne Blacky mit zum Spielplatz nimmst oder umgekehrt nur mit Blacky zum Spielplatz gehst, heißt das noch nicht, dass du einen von beiden weniger lieb hast, oder?“
Er schüttelte heftig seinen Kopf. „Nein, ich hab beide ganz doll lieb.“
Ich nickte leicht. Er schien zu verstehen, worauf ich hinaus wollte. Er warf einen kurzen Blick zu Ally. Aber sagte nichts.
Irgendwas ging ihm durch den Kopf. Ally warf ihm einen fragenden Blick zu. „Hast du noch eine Frage, Edward?“
Er nickte zögerlich. „Hast du Jay weniger lieb, weil ich immer dabei bin?“
Verwirrt runzelte sie ihre Stirn, bis sie zu begreifen schien. „Aber nein. Ich hab ihn trotzdem ganz doll lieb.“
„Aber…“ Er kräuselte wieder seine Nase.
Sie lächelte ihn an. „Ich weiß, dass er mich ganz doll lieb hat und er weiß, dass ich ihn ganz doll lieb hab. Man kann sich nämlich auch auf andere Weise zeigen, dass man einander lieb hat. Beispielsweise wenn man einander umarmt oder einen Kuss gibt oder indem man dem anderen hilft. Außerdem hab ich dich auch ganz doll lieb.“ Sie drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Fast schon mehr als deinen Bruder.“
Edward lächelte. „Ich hab dich auch ganz doll lieb, Ally.“
Die Situation war eindeutig entschärft.
„Hey, stopp mal. Wollt ihr mich jetzt etwa los werden?“ Ich tat so, als wäre ich zutiefst verletzt und schmollte.
Ally lachte und zog mir Edward aus den Armen, um ihn an sich zu drücken. „Erfasst. Du kannst jetzt gehen. Ich hab ja Edward zum lieb haben.“, lachte sie und drückte ihm einen Kuss auf den Kopf.
Edward sah für einen Moment ehrlich entsetzt aus. Er glaubte mir doch tatsächlich. Er sah von mir zu Ally und wieder zu mir. Dann streckte er seine Arme aus, als Zeichen, dass er von mir auf den Arm genommen werden wollte. Ich hob ihn wieder hoch und er presste sich sofort wieder an mich. „Du darfst nicht gehen. Ich hab dich lieb. Du bleibst, ja?“
Okay, manchmal war er schon der niedlichste Bruder, den man sich wünschen konnte. Hoffentlich verlor er das nicht mit der Zeit.
„Du hast mich lieb? Bist du dir da sicher? Ich kann auch gehen.“, fragte ich nochmal mit meinen eigentlich weniger überzeugenden Schauspielkünsten.
Er schüttelte heftig den Kopf. Schnell drückte er mir einen Kuss auf die Wange und klammerte sich wieder an meinem Hals fest. „Ich hab dich am liebtesten von allen. Du darfst nicht gehen. Ally hat dich sicher auch noch ganz doll lieb.“
Sie lächelte ihn an und nickte, als er sie ansah.
Ich drückte ihn leicht an mich und drückte ihm ebenfalls einen Kuss auf den Kopf. „Dann geh ich auch nicht. Ich hab dich auch am liebtesten von allen.“
Wir blieben eine Weile so sitzen, bis Edward laut gähnte. „Ist da etwa jemand müde?“, lachte Ally.
Er schüttelte wieder den Kopf, aber ihm fielen gleichzeitig fast die Augen zu.
„Komm. Ich bring dich ins Bett. Dir fallen ja schon die Augen zu.“
Er schluchzte wieder. Dieser Abend war für uns alle emotional gewesen. Kein Wunder, dass er müde und etwas weinerlich war.
„Ich will aber nicht schlafen gehen. Was ist, wenn der böse Mann kommt?“
Er sah mich dabei so verzweifelt an, dass ich beinahe nachgegeben hätte. Aber er musste ins Bett. Er war müde und konnte sich sowieso kaum noch wach halten. Eine Lösung musste her.
Ich warf Ally einen kurzen Blick zu. Sie verstand sofort.
Sie stand auf und streckte sich kurz. „Ich glaub, ich geh langsam auch nach Hause. Ihr seht beide ziemlich müde aus.“
Edward schaute sie kurz an, bevor er seine Arme nach ihr ausstreckte. Sie nahm ihn und drückte ihn an sich. „Ich komme morgen wieder und dann spielen wir was Schönes, alle fünf, ja?“ Er nickte heftig und strahlte. „Gut. Dann schlaf gut und träum noch was Schönes. Ich hab dich lieb.“ Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
„Ich hab dich auch lieb. Wir können morgen Memory spielen oder… oder… Mensch ärger dich nicht… oder… malen… oder…“ Sie lachte kurz und drückte ihm noch einen Kuss auf. „Das wäre schön. Also bis morgen.“
Sie kamen zu mir. Ich nahm ihr Edward ab und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. „Bis morgen. Ich liebe dich.“
Sie strahlte beinahe genauso wie Edward noch vor einer Sekunde. „Ich liebe dich auch. Schlaft gut.“
Kaum dass Ally aus dem Haus war, gähnt Edward erneut.
„So jetzt geht’s ab ins Bett.“
Er schüttelte immer noch den Kopf.
„Oh doch.“
„Aber ich will nicht.“
„Edward, du bist müde. Du brauchst deinen Schlaf genauso wie ich.“
„Aber ich will nicht.“, wimmerte er dieses Mal.
Ich schloss kurz meine Augen. „Und wieso nicht?“
„Weil… weil dann der böse Mann kommt… und dann hab ich Angst…“
Ich verstand, worauf Edward hinaus wollte. Ich würde ihn auch lassen, aber er sollte fragen.
„Du brauchst aber keine Angst haben. Ich bin nur ein Zimmer entfernt. Du kannst jederzeit zu mir kommen.“
Eine kleine Hilfe. Ein kleiner Denkanstoß.
Edward sah mich an und stellte dann endlich die Frage. „Darf ich bitte bei dir schlafen?“
Ich lächelte ihn an und nickte. „Natürlich.“
Er atmete erleichtert aus und gähnte anschließend. „Ich bin vielleicht doch ein bisschen müde.“, murmelte er.
Darauf lachte ich und machte mich mit ihm und seinen Kuscheltieren auf in den ersten Stock. Er bestand darauf mit mir ins Bad zu gehen, aber ich warf ihn kurz raus, als ich auf Toilette musste.
Danach legten wir uns in mein Bett und schliefen irgendwann ein; ich an die Kante des Bettes getrieben, Edward ausgestreckt über den Rest, mit Pat und Blacky jeweils in einem Arm.
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