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Dienstag, 24. Mai 2011

04 Sometimes I’m like ‚What the?‘

Jayson’s PoV:

Mitten in der Nacht geweckt zu werden, stand auf meiner Liste mit Dingen, die ich dringend erleben wollte, ungefähr auf derselben Stelle wie das Erleben des nächsten Krieges, eines atomaren Unglücks oder die Hochzeit meiner Mutter mit ihrem Kerl. Also irgendwo ganz weit unten.
Man musste somit nicht rätseln, ob ich es mochte, als ich irgendwann gegen Mitternacht geweckt wurde, weil ein kleiner Junge es kaum erwarten konnte, dass sein Geburtstag war.
„Edward, ich hab zwar gesagt, noch einmal schlafen und dann hast du Geburtstag, aber so war das nicht gemeint.“ Er sah mich leicht verwirrt an. „Hör zu. Dein Geburtstag ist zwar in zehn Minuten, aber er geht einen ganzen Tag lang. Meinst du nicht, du verpasst irgendwas, wenn du die ganze Nacht wach bleibst und dafür dann ein noch längeres Mittagsschläfchen machen musst? Und da passieren doch erst die ganzen tollen Sachen.“
Für einen Moment sah er nachdenklich aus, bevor er heftig nickte.
„Also schlafen wir jetzt damit du später nur ein kurzes Nickerchen machen musst?“ Wieder ein Nicken. Phantastisch.
„Komm, du darfst bei mir schlafen.“
So wurde Edwards zweiter Geburtstag eingeläutet. Wie ich später rausfinden sollte, fand er Ausschlafen an diesem Tag eher überbewertet und weckte mich gegen halb acht.
Ich schickte ihn schon mal runter, damit ich duschen und mich fertig machen konnte. Wir sollten um elf Uhr bei Allys Eltern sein. Die große Feier würde bei ihnen stattfinden. Sarah kannte ein paar Mütter mit Kindern, die in etwa in Edwards Alter waren. Ein paar andere Kinder sollten vorbeikommen, die bei Sarah nachmittags Klavierunterricht nahmen und somit Edward schon etwas kannten.
Ich gähnte herzhaft, bevor ich mich unter die Dusche stellte. Am Abend zuvor hatte ich noch mit Ally telefoniert, um sicher zu gehen, dass wir alles hatten. Dabei fiel mir wieder dieser Typ ein, der uns so seltsam angestarrt hatte, als Edward und ich einkaufen gewesen waren, nachdem ich ihn abgeholt hatte.

Er hatte besonders meinen kleinen Bruder begutachtet. Ich hatte ein ziemlich ungutes Gefühl in der Magengegend. Ich ließ Edward keine Sekunde aus den Augen, während ich gleichzeitig versuchte, an alles zu denken. Für eine Sekunde hatte ich dann doch nicht aufgepasst, weil ich nur am Ende des Gangs schnell etwas holen wollte und als ich mich umdrehte, sah ich den Kerl bei meinem Bruder stehen.
Als ich näher kam, hörte ich, dass er sich mit ihm unterhielt.
„Wie heißt du denn, Kleiner?“
Ich kannte die Stimme irgendwoher, aber hatte keine Erinnerung parat, die mir die Herkunft hätte verraten können.
„Ich bin nicht klein. Ich bin schon zwei!“, verkündete Edward stolz und hielt drei Finger hoch. Das müssten wir noch üben.
„So groß schon?“
Edward nickte heftig. „Ich hab heute Burtstag.“ Er strahlte den Fremden an und wackelte etwas unruhig in dem Wagen rum.
„Heute? Na dann alles Gute zum Geburtstag. Wie heißt du denn, damit ich dir richtig gratulieren kann?“, hakte der Mann nach. Mir gefiel überhaupt nicht, dass er so erpischt darauf war, seinen Namen rauszufinden.
„JayJay.“, antwortete er. Ich hätte beinahe gelacht, wäre ich nicht so angespannt gewesen. Ich beschloss, besser dazwischen zu gehen.
„Verzeihung, kenne ich Sie?“, fragte ich den Typen bedacht ruhig, als ich an den Wagen herantrat. Der Fremde zuckte zusammen.
Edward schaute erst mich und dann ihn an.
Der Mann musterte mich, bevor er zur Antwort ansetzte. „Ich glaube nicht.“
Irgendwoher kannte ich ihn. Nur woher? Ich durchkramte meinen Kopf, während ich den Kerl genauer unter die Lupe nahm. Definitiv bekannt, aber in welcher Verbindung?
„Dann macht es Ihnen sicher nichts aus, uns in Ruhe zu lassen. Ansonsten sehe ich mich gezwungen, mich über sie zu beschweren.“
Er zuckte erneut zusammen und nickte dann. „Entschuldigung. Ich wollte nicht aufdringlich wirken. Dein Sohn sah nur jemandem ähnlich, den ich kenne.“
Ich verengte meine Augen und fixierte ihn mit meinem Blick. „Er ist mein kleiner Bruder. Und da sich das jetzt geklärt hat, wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.“
Ich schob den Wagen schnell weiter und atmete erst ein paar Gänge weiter wieder erleichtert aus. Edward sah mich etwas verwirrt an. „Jay, warum hast du den Mann so böse angeguckt?“
Mist, so aufmerksam. „Edward, du darfst nicht mit fremden Menschen reden, okay?“
Er legte seinen Kopf leicht schräg. „Okay.“
Seine Aufmerksamkeit war bald auf die Süßigkeiten im Gang beschränkt, während ich versuchte, dass ungute Gefühl loszuwerden.

Ally hatte nicht viel zu dem Thema gesagt. Sie hatte nur nochmal nachgefragt, ob ich inzwischen wüsste, woher ich den Mann kannte.
Während ich jetzt so unter der Dusche stand und mir alles nochmal durch den Kopf gehen ließ, fiel es mir wieder ein. Er war ein Bekannter unserer Mutter gewesen. Das letzte Mal hatte ich ihn vor vier oder fünf Jahren gesehen, als er auf meiner Geburtstagsfeier gewesen war. Ich hatte seine Anwesenheit damals als selbstverständlich eingestuft und nicht irgendwie weiter Beachtung geschenkt.
Das ungute Gefühl wurde definitiv stärker.
Als ich aus der Dusche stieg und mich abtrocknete, hörte ich unten die Klingel. Ugh. Jetzt würde doch nicht der Freund meiner Mutter auftauchen oder?
Ich zog mich schnell an und putzte mir noch die Zähne, bevor ich mich auf den Weg nach unten machte.
Da stand er. Der Kerl vom Vortag. Was wollte er denn hier?
Meine Mutter stand ebenfalls im Flur und fauchte ihn wütend an. Wo war ich denn jetzt hingeraten?
Dieser Gedanke beschäftigte mich genau so lang, bis ich meinen kleinen Bruder verwirrt zwischen den beiden stehen sah.
„Was fällt dir ein, dich hier blicken zu lassen?“, giftete sie. Sie sah verdammt sauer aus.
Aber er sah nicht minder wütend aus. „Was mir einfällt?! Was fällt dir ein, mir davon nichts zu sagen?!“
„Weil es dich nichts angeht. Deswegen. Du hast dich damals entschieden. Ich habe nur deine Entscheidung respektiert, auch wenn du ein mieser, kleiner, beschissener Feigling bist!“
Seine Augen verengten sich und er machte einen Schritt auf sie zu. Edward quiekte kurz erschrocken auf und sprang zurück. Ich lief schnell die Treppe runter. Der Mann hatte indes seinen Blick wieder auf meinen Bruder gerichtet, dieses Mal wesentlich ruhiger und irgendwie besorgt?
Ich nahm Edward schnell auf den Arm und lief in die Küche.
Kaum dass wir den Flur verlassen hatten, ging die Streiterei von vorne los.
„Verlass sofort mein Haus! Ich will dich hier nicht sehen.“, fauchte meine Mutter lautstark.
„Ich habe jedes Recht hier zu sein.“
„Du bist doch sowieso nur wegen diesem dummen Balg hier!“, schrie sie jetzt. „Nimm ihn mit, aber verschwinde sofort aus meinem Haus oder ich rufe die Polizei.“
Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Mir wurde schlecht und ich hoffte inständig, dass meine Vorahnung nicht der Realität entsprach.
Edward weinte währenddessen und fragte mich ständig, was los sei und warum Mami so rumschrie und was der Mann hier mache. Da ich keine konkreten Antworten hatte, versuchte ich nur ihn zu beruhigen und abzulenken.
Das klappte ganz gut, als ich noch ein paar Schokokekse auftrieb.
Ich blendete das Geschrei im Flur aus, auch das Scheppern von  Glas, bis schließlich die ersten Sirenen in der Ferne zu hören waren. Ich hoffte inständig, dass keiner unserer Nachbarn die Polizei gerufen hatte, sondern sie nur an unserem Haus vorbeifuhren, um zu irgendeinem Tatort zu kommen.
Natürlich lachte mein Glück mich aus, als die Sirenen genau vor unserem Haus anhielten. Seit wann kamen die denn so schnell am Ort des Geschehens an? Ich dachte immer, das dauert ewig.
Edward hatte leider auch die Sirenen gehört und beobachtete, wie drei Polizisten aus den Wagen ausstiegen und zu unserer Haustür liefen. „Was macht Polizei hier?“
Ich konnte nur mit den Schultern zucken, aber sein Interesse war schnell wieder auf die Kekse gerichtet.
Es klingelte und Mutter machte die Tür auf.
„Officers, gut dass Sie da sind. Dieser Mann verlässt mein Haus nicht, obwohl ich ihn bereits mehrmals dazu aufgefordert habe.“
„Ma’am, dürfen wir erst einmal reinkommen, um die Situation genauer in Augenschein zu nehmen? Einer ihrer Nachbarn hat angerufen und einen lautstarken Streit gemeldet und lautes Geschepper.“
Sie ließ die drei Polizisten rein. Einer sah kurz zu uns in die Küche.
„Ein Kleinkind und ein Jugendlicher sitzen in der Küche.“, berichtete er den anderen.
„Zu wem gehören die beiden?“, hakte einer der drei nach.
Es war kurz still im Flur, bis sich Mutter schließlich dazu bekannte, dass wir ihre Kinder seien. Ich bildete mir die Scham sicher nicht nur ein, die man ihrer Stimme entnehmen konnte.
„Und weshalb sind Sie hier?“, fragte ein Polizist den Mann.
„Ich habe die starke Vermutung, dass diese Frau hier mir meinen Sohn vorenthalten hat.“, erklärte er ruhig.
Mir wurde schlagartig schlecht. Sohn?
„Und wie kommen Sie auf diese Vermutung?“
„Wir hatten vor ein paar Jahren eine Affäre, die ich beendet habe. Der Junge ist genau im richtigen Alter.“
Mein Blick wanderte langsam zu meinem Bruder, der in aller Ruhe seine Kekse futterte. Das durfte nicht wahr sein.
„Und stimmt seine Vermutung?“, hakte der andere Beamte nach. Der Polizist, der bereits zuvor in die Küche geschaut hatte, kam wieder rein. Er betrachtete uns für einen Moment, bevor er wieder in den Flur ging.
Mutter schnaufte wütend. „Das geht Sie alle nichts an.“ Das war so gut wie eine Bestätigung.
Es war kurz still, bevor einer der Polizisten wieder sprach. „Nun, das Problem kann man schnell aus der Welt schaffen. Machen Sie einen Vaterschaftstest. Und bitte regeln Sie das leiser und ohne irgendwelche Gegenstände durch die Gegend zu werfen. Wir belassen es bei einer Warnung. Einen schönen Tag noch.“
Und weg waren sie. Der Fall war eindeutig zu uninteressant.
Im Flur war es totenstill, bis der Mann das Wort erhob. „Ich rufe gleich meinen Anwalt an. Ich will noch heute den Test machen.“ Er seufzte. „Ich kann nicht glauben, dass du mir das verschwiegen hast.“
Mutter schnaubte. „Was hätte das Balg schon geändert? Du wärst ja doch nicht hier geblieben.“, zickte sie.
Er stieß ein weiteres Seufzen aus. Er schien keine Lust mehr zu haben, sich mit ihr zu streiten. „Kann ich ihn jetzt sehen?“
„Keiner hält dich davon ab. Du kannst ihn wie gesagt auch mitnehmen. Er stört sowieso nur.“
Damit stampfte sie die Treppen hoch und ich hörte, wie ihre Schlafzimmertür zuschlug.
Mir war so übel. Das konnte doch nicht alles gerade eben passiert sein oder? Warum ausgerechnet heute? Hätten sie sich nicht einen anderen Tag aussuchen können, um die Geheimnisse zu lüften?
Ich hörte, wie er sich langsam der Küche näherte. Als er reinkam, richtete er nur kurz seinen Blick auf mich, bevor er auf meinem Bruder ruhte.
Er sah noch immer leicht wütend aus, aber irgendwie auch müde und traurig. Er kam auf uns zu.
„Hallo. Ich schätze mal, ich sollte mich richtig vorstellen, wo wir uns wahrscheinlich öfter sehen werden.“
Ich musterte ihn erneut, schnaubte und wandte meinen Blick ab. Edward hingegen blickte auf und sah den Mann neugierig an, aber er sagte kein Wort.
„Mein Name ist Edward Foster.“ Er streckte seine Hand aus. Ich schüttelte sie nur widerwillig. Mutter hatte meinen Bruder nach ihm benannt. Kein gutes Zeichen.
„Jay?“ Ich sah Edward an. „Darf ich mit ihm reden?“
Am liebsten hätte ich verneint, aber ich nickte zögerlich. Er strahlte.
Sofort blickte er wieder seinen wahrscheinlich biologischen Vater an. Ugh. „Ich heiße auch Edward!“
Jetzt sah Foster kurz verwirrt aus, bevor er ebenfalls strahlte. „Nur die ganz tollen und großen Jungs heißen Edward.“
Edward nickte heftig, bevor er nach einem der Kekse griff und ihn Foster hinhielt. „Willst du einen Keks haben? Heute gibt’s Kekse zum Frühstück, weil mein Burtstag ist.“, erklärte er aufgeregt.
Foster lächelte ihn an. „Sicher, danke.“
Dieser Tag würde definitiv nicht so ablaufen, wie ich es mir erhofft hatte.

Freitag, 15. April 2011

03 I’m kind of stressed here

03 I’m kind of stressed here
Jaysons PoV:
„Und krieg ich dann auch Kekse zum Mittagessen?“
Ich seufzte. Seitdem wir zu Hause losgelaufen waren, wurde ich mit Fragen bombardiert, was er sich alles zu seinem Geburtstag wünschen konnte und was einfach nicht möglich war bzw auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden musste. Zum Mond konnte ich ihn nicht einfach mal so fliegen. Auch wenn ich das gerade sehr gern getan hätte.
Meine Nerven lagen blank.
Mutter stritt nur mit mir über Kleinigkeiten – was ich ja eigentlich gewohnt sein sollte – aber selbst sie sollte wissen, dass ich irgendwann darüber hinwegsehen würde, dass sie meine Mutter und im 6. Monat schwanger ist. Irgendwann würde ich sehr wahrscheinlich austicken und sie langsam und qualvoll mit dem extra zarten Toilettenpapier erdrosseln, dass nebenbei bemerkt auch extrem reißfest ist, auf das sie so bestand. Dass wir das Geld dafür nicht hatten, war ihr ziemlich egal und natürlich sah sie auch nicht ein, Abstriche bei sich zu machen, statt bei meinem kleinen Bruder. Bei mir konnte sie schon nichts mehr streichen.
Ich hatte nämlich einen Nebenjob angenommen. Ich kellnerte in einer der Kneipen in unserer Gegend und trug Zeitung aus. Falls ich es jemals aufs College schaffen sollte, würde es garantiert nicht am Geld scheitern.
Aber auch von meinem Einkommen konnte ich mir nur das Notwendigste neben Lebensmitteln kaufen, wenn ich nebenbei auch noch für das College sparte. Zudem musste ich mit Argusaugen aufpassen, dass Mutter nicht vergaß, dass sie noch ein Kleinkind hatte, dem sie zumindest etwas zu Essen und Trinken kaufen musste.
Mein Job als Aufpasser zu Hause war also der Ätzendste von allen.
Hinzukam noch dass ich in der Schule voll da sein musste, Arbeiten schreiben, Referate halten und dergleichen. Abends ertappte ich mich gelegentlich dabei, einfach über meinen Hausaufgaben einzuschlafen. Ally hatte deswegen vorgeschlagen, ab sofort mit ihr Hausaufgaben zu machen, aber das würde wahrscheinlich auch nirgendwohin führen. Das hatte schon früher nicht geklappt und war nur in Sex geendet. Nicht gut.
Eins meiner wenigen Probleme würde sich zum Glück morgen in Luft auflösen. Edwards Geburtstag stand vor der Tür.
Ich konnte verstehen, dass er aufgeregt war und deshalb viele Fragen hatte, aber jeeeeeez… der Junge kannte da kein Erbarmen, der strich auch die Schlafenszeiten für Fragen. In den letzten drei Nächten war er zu mir ins Zimmer gekommen – immer sobald ich im Bett lag und mich schon diebisch darauf freute, endlich meine Augen schließen zu können – und hatte mir Fragen gestellt, bei denen ich meist nicht einmal wusste, wie er darauf gekommen war. Ein paar waren berechtigt und ein paar einfach… Nun gut. Nicht nur Mutter wurde in meinen Gedanken erdrosselt.
Gott, ich weiß, das klingt schrecklich. Er wird gerade mal 2 Jahre alt und ist einfach aufgedreht, aber verflucht wo blieb ich da? Ich war gerade mal 18. Und wo wir gerade dabei waren. Wann hatte ich gefeiert? Gar nicht. Ha! Ich saß entweder in der Schule, war bei einem meiner Nebenjobs, hechtete zwischen Allys Haus und unserer Wohnung hin und her oder versuchte meine Noten nicht absacken zu lassen.
Ich war müde, ausgelaugt, mental am Ende, aber das Ende war einfach nicht in Sicht. Freiwillig würde ich das nicht nochmal machen. Natürlich liebe ich meinen Bruder, aber hätte Mutter nochmal damit gedroht, ihn abzugeben, würde ich mit dem Wissen, was ich jetzt habe, wahrscheinlich zustimmen. Es hatte einen verdammten Grund, warum man in dem Alter keine Kinder bekommen sollte. Mag sein, dass manche damit umgehen konnten, aber andere – so wie ich – eben nicht! Später vielleicht, aber sich das nochmal zu geben? Jeez. Nein Danke.
Das mag alles ziemlich negativ klingen, aber versucht ihr mal, immer positiv zu sein, wenn alles, was ihr wollt, nur ein bisschen Ruhe und Schlaf und Zeit für sich ist, ihr es aber seit über drei Wochen nicht bekommt.
Ich holte also tief Luft und redete mir immer wieder ein, dass es morgen bereits vorbei war.
„Edward, du kannst nicht Kekse zum Mittagessen haben.“
Achtung, Schmollmund in drei zwei eins… die Unterlippe schob sich nach vorne und seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
„Aber ich will Kekse zum Mittagessen an meinem Geburtstag.“
Oh, das hatte ich ganz vergessen. Unser Sonnenschein war dank Schlafentzug schnell übellaunig und zickig und schmollte eigentlich die Hälfte des Tages. Wieder ein Problem, das sich morgen von allein lösen würde. Ich sollte mich darauf konzentrieren.
„Keine Kekse zum Mittagessen, Edward. Das ist mein letztes Wort.“
Ich atmete tief durch und zählte bis fünf und tada. Die ersten Tränen kullerten. Sobald er nämlich merkte, dass Schmollen keinen Sinn hatte, fing er an auf die Tränendrüse zu drücken. Man konnte ihm vieles unterstellen, aber nicht dass er leicht aufgab.
Edward blieb mitten auf der Straße stehen. Ugh.
Ich schloss kurz meine Augen, um mich mental auf das bevorstehende Drama vorzubereiten, als ich bereits das erste Hupen hörte. Also drehte ich mich schnell zu meinem Bruder um und hob ihn hoch, noch bevor er irgendwie protestieren konnte.
Nachdem wir auf der anderen Straßenseite angekommen waren, fing er an, sich aus meinem Griff zu winden und lautstark zu heulen. Kaum, dass seine Füße den Boden berührten, versuchte er zurück auf die Straße zu rennen. Mir blieb fast das Herz stehen, als er sich von mir losriss und weglief. Ich konnte in Gedanken schon das Hupen hören und dann die Sirenen eines Krankenwagen. Ein Horrorszenario nach dem anderen spielte sich vor meinem inneren Auge ab. Doch noch bevor ich ihn irgendwo packen konnte, hatte ihn zum Glück eine ältere Frau gegriffen – gerade noch rechtzeitig wohlbemerkt, ein Autofahrer hatte bereits gehupt – und meinen mehr als widerspenstigen Bruder zurück zu mir gezogen.
Sie sagte nichts zu mir, sondern schob ihn mir nur mit einem missbilligenden Gesichtsausdruck in die Arme. New Yorker waren vielleicht für sich genommen mehr Einzelgänger, aber total herzlos waren sie nun auch wieder nicht. Gott sei Dank. Was mich wieder zu folgendem bringt.
„Sag mal, spinnst du?! Bei Rot auf die Straße zu laufen! Du hättest überfahren werden können! Verflucht, Edward, schaltest du mal deinen Kopf ein. Sonst bist du auch nicht so dumm und leichtsinnig. Weißt du wie verdammt gefährlich das war?!“, schrie ich ihn an. Bevor ihr Steine werft, ich weiß, dass ich ihn nicht hätte anschreien sollen, aber der Schock saß mir noch ein wenig in den Knochen.
Edward stand indes vor mir und weinte immer heftiger. Immer hin versuchte er nicht mehr wegzulaufen. Ich zog ihn an mich und drückte ihn fest gegen meine Brust.
„Mach das nie wieder! Hörst du? Gott, ich hatte gerade so eine Angst!“
Er wimmerte leise und krallte sich an mir fest. Gott, was alles hätte passieren können.
Mein Herz beruhigte sich langsam wieder und ich wurde mir wieder bewusst, dass ich immer noch spät dran war. Ich hielt Edward ein wenig auf Abstand, damit ich ihm in die Augen gucken konnte.
„Versprich mir sofort, dass du nie wieder einfach auf die Straße rennst.“
Er nickte heftig. Der übliche Post-Heulerei-Schluckauf stellte sich ein.
„Ich will, dass du es sagst und meinst, Edward.“
Er nickte wieder heftig. „Ich mach das nie wieder. Ich schwöre.“
Ich musterte ihn und zog ihn dann wieder zu mir.
„Gut. Über die Bestrafung reden wir gleich, wenn wir bei Oma Sarah und Opa Ben sind.“
Er wusste inzwischen, dass die Bestrafung unvermeidlich war. Normalerweise protestierte er sofort, aber dieses Mal hatte wohl sogar er erkannt, dass er zu weit gegangen war.
„Komm. Ich trag dich, damit wir schneller da sind.“

„Oma Sarah!“, quiekte Edward, kaum dass wir im Haus waren.
Sarah kam aus der Küche auf uns zu und nahm ihn mir ab. „Na, JJ, bist du schon aufgeregt wegen morgen?“, lächelte sie.
Seine Geburtstagsfeier hatten wir hierher verlegt. Mehr Platz und weniger Menschen, die sich einen Dreck um ihre Kinder scherten.
Edward nickte heftig und grinste breit. Seine Augen waren immer noch rot und leicht geschwollen vom vielen Weinen. Erst zwei Blocks, bevor wir da waren, hatte er aufgehört zu weinen.
Natürlich entging diese Kleinigkeit nicht einer fürsorglichen Frau. Sarah musterte ihn kurz besorgt. Sofort hörte er auf zu lächeln und guckte auf den Boden. Er hatte nicht vergessen, dass die Bestrafung noch ausstand. „Ich war böse.“, nuschelte er.
Ihr Blick fiel kurz auf mich. „Was hast du denn gemacht, Schätzchen?“, hakte sie nach.
„Ich wollte Kekse zum Mittagessen zu meinem Geburtstag.“, wimmerte er leise, bevor ich sah, wie wieder neue Tränen liefen. Hoffentlich würde Sarah ihn zu einem Mittagsschläfchen bewegen können.
Sarah runzelte kurz ihre Stirn. „Kekse sind ja auch mehr Nachtisch, aber was ich nicht verstehe, ist, warum du deswegen böse sein sollst.“
Er drehte sich in ihren Armen und streckte seine Arme nach mir aus. Huh. Das hatte ich definitiv nicht erwartet. Ich nahm ihn wieder auf den Arm und er erdrosselte mich beinahe, so fest umklammerte er meinen Hals.
„Hey? JJ, du weißt, es ist unhöflich, auf Fragen nicht zu antworten.“, murmelte ich.
„Es tut mir leid.“, wimmerte er leise. „Ich wollte nicht auf die Straße laufen. Ich weiß, Straßen sind gefährlich. Aber…“ Er holte ein paar Mal Luft. „Es tut mir so leid. Ich mach es nie wieder.“
„Schon okay. Ent-“
„Bitte, gib mich nicht weg. Bitte! Ich mach auch alles, was du sagst. Keine Kekse zum Mittagessen. Gar keine Kekse mehr. Aber bitte, gib mich nicht weg.“ Er wurde immer lauter und am Ende schluchzte er beinahe unkontrolliert auf.
Sarah sah uns ein wenig entsetzt an. „Er ist auf die Straße gelaufen?“ Sie sah auch ein bisschen blass um die Nase aus.
Ich nickte nur leicht, bevor ich mich wieder Edward zuwandte.
„Edward, ich gebe dich sicher nicht weg. Davor brauchst du keine Angst haben.“ Ich seufzte. Als nächstes kam die Bestrafung, was mir gerade ziemlich schwer fiel. „Deine Entschuldigung ist akzeptiert, aber trotzdem wirst du bestraft. Verstanden?“
Er nickte.
„Gut. Es gibt die nächste Woche keine Kekse – ausgenommen morgen, aber da nur als Nachtisch nach dem Mittagessen. Und du musst heute dein Mittagsschläfchen machen. Verstanden?“
Er nickte heftig.
Sarah fixierte ihn kurz mit ihren Augen. Sie hatte diesen Blick drauf, den nur Eltern im Repertoire hatten. Diesen du-hast-scheiße-gebaut-und-ich-bin-enttäuscht-aber-ich-liebe-dich-immer-noch-Blick.
„Wann kommst du wieder?“, fragte er mich kleinlaut.
Ich musste kurz überlegen. Nach der Schule würde ich nur kurz vorbeikommen, aber nur um mich umzuziehen und eventuell noch ein paar Hausaufgaben zu machen. Danach musste ich in die Bar für vier Stunden, was darauf hinauslief, dass er bereits schlafen sollte, wenn ich wiederkam.
„Heute Nachmittag so um drei. Wenn du dein Mittagsschläfchen machst, dann dauert es gar nicht so lange, bis ich wieder da bin.“
Er seufzte. „Warum kann ich nicht mitkommen?“
Ohne die Aussicht auf Kekse fand er es wohl doch nicht so toll. Oder er spürte, dass Oma Sarah heute nicht so gut gelaunt sein und ihn machen lassen würde, was er wollte.
Ich schüttelte den Kopf. „Du bleibst brav hier. Dann machen wir nachher, wenn ich komme, etwas zusammen. Okay?“
Wieder seufzte er. „In Ordnung.“
Ich setzte ihn wieder auf dem Boden ab und verwuschelte sein Haar – was er hasste. Sofort griff er nach meinen Händen. „Aufhören!“
Ich lachte kurz. „Danke Sarah. Bis später.“
Sie nickte mir kurz zu und winkte, als ich rausging.